#sprachlernendesspiel
Die Förderung der Sprache als Schlüssel zur Integration
Als wir am Mühlenberger Markt 1 ankamen, wussten wir nicht, was uns erwarten würde. Ehrlicherweise hatten wir vorübergehend die Orientierung verloren, da auch wir zum ersten Mal im multikulturellen Stadtteil Mühlenberg waren. Zusätzlich war der Wochenmarkt auf dem Vorplatz aufgebaut, dazu auch noch die vielen Menschen. Das hat leider unsere ohnehin schon vorhandene Desorientiertheit nicht gerade vermindert. Also riefen wir Herrn Mende an. Er hat uns dann zum gewünschten Treffpunkt gelotst, zum Glück gerade noch pünktlich. Wir hatten nämlich einen Termin mit ihm und seinen Koordinatoren Frau Nuding und Herrn Püschel an der Leonore-Goldschmidt-Schule.
Die Rede ist von Julian Mende, Initiator und Leiter des Projekts #sprachlernendesspiel. Julian Mende ist Lehrer an der eben genannten Schule und hat das Projekt 2015 ins Leben gerufen. Ein Projekt, das sich seither stets ausgeweitet und insgesamt etabliert hat. Über 300 Sprachlernende aus zehn Schulen in Hannover und Umgebung nehmen jährlich an dem Projekt teil. Die Sprachlernenden sind Kinder und Jugendliche aus über dreißig verschiedenen Ländern, die teilweise seit wenigen Tagen, aber maximal seit einem Jahr in Deutschland leben. Im Rahmen von Sprachlernklassen werden diese an ihren Schulen auf den Unterricht in der Regelklasse vorbereitet und dabei im Lernprozess vorrangig mit der deutschen Sprache konfrontiert.
Ziel von #sprachlernendesspiel ist es, den Spracherwerb in Verbindung mit theaterpädagogischer Arbeit zu fördern und durch kulturelle Teilhabe an die deutsche Sprache sowie die deutsche Gesellschaft heranzuführen. Das Projekt entstand aus einer Kooperation der Gesellschaft für Theaterpädagogik e. V., der Leonore-Goldschmidt-Schule und der Leibniz Universität Hannover und wird durch Fördergelder und Spenden verschiedener Stiftungen aus Niedersachsen und der Region Hannover finanziert. Nachdem das Pilotprojekt 2015/2016 innerhalb einer Sprachlernklasse an einer Integrierten Gesamtschule in Hannover erfolgreich startete, wurde das Projekt im Jahr 2016/2017 weiterentwickelt und ab dem Jahr 2017/2018 auf weitere Schulen ausgedehnt.
Die Tandems – Studierende treten in das Pedal der Integration!
Einen wichtigen Bestandteil für den Sprachunterricht stellen die Tandems dar: In jeder der zehn Schulen sorgen jeweils zwei Studierende des darstellenden Spiels dafür, dass die Gruppen angeleitet, koordiniert sowie mit theaterpädagogischen Inhalten versorgt werden. In diesen Tandems arbeiten sowohl fortgeschrittene als auch weniger erfahrene Studierende zusammen, wodurch auch innerhalb des Tandems gelernt und von vorangegangenen Praxiserfahrungen profitiert wird. Die Proben des Unterrichts erfolgen einmal in der Woche neunzig Minuten lang im Rahmen des Regelunterrichts der Sprachlernenden.
Die Teilnahme an dem Theaterprojekt ist verpflichtend für alle Schüler:innen der Sprachlernklassen. Somit handelt es sich nicht um eine zusätzliche, freiwillige Arbeitsgemeinschaft, sondern um eine begrenzte, ausgewählte Klasse mit besonderem Sprachförderbedarf. In den jeweiligen Unterrichtsstunden wird dann auf eine gemeinsame, öffentliche Präsentation aller Gruppen an der Leonore-Goldschmidt-Schule am Schuljahresende hingearbeitet. Hierfür werden die fördernden Stiftungen, die Eltern der Sprachlernenden, die Hochschulöffentlichkeit, Projektalumni sowie die Presse eingeladen.
Die Meilensteine
Das Bergfest
Ein gemeinsamer Austausch findet zudem beim sogenannten Bergfest statt. Hierzu lädt die Leonore-Goldschmidt-Schule Hannover-Mühlenberg alle teilnehmenden Sprachlernklassen aus den verschiedenen Schulen ein, um sich gegenseitig kennenzulernen und von Erfahrungen sowie Gedanken aus den Gruppen zu erfahren. Das Kennenlernen der Gruppen wird zudem durch theaterpädagogische Übungen begleitet. Das Bergfest dient somit nicht nur als Netzwerktreffen, sondern prägt auch diese multikulturelle und vielseitige Gemeinschaft. Ein internationales Buffet aus vielfältigen kulinarischen Spezialitäten sorgt zudem für ein kleines Highlight, wofür Studierende, Spielende und Eltern ausgewählte Speisen zubereiten.
Kulturkometen
#sprachlernendesspiel wurde im Juni 2019 mit dem Preis Kulturkometen der Region Hannover und der TUI-Stiftung ausgezeichnet. Der Preis wird alle zwei Jahre an Kulturinitiativen in Schulen vergeben und ist mit einem Preisgeld von rund 3.000 Euro dotiert, welcher zugleich einen Anschub für die Finanzierung des nächsten Projektdurchlaufs darstellt.
Schultheater der Länder
Das Schultheater der Länder (SDL) ist ein Bundesfestival aller Schultheaterformate, bei dem ein weiterer Begegnungsraum für die Sprachlernenden geschaffen wird. Schulklassen aus allen Bundesländern können sich für das SDL bewerben. Nach einer Bewerbungs- und Sichtungsphase werden die möglichen Teilnehmer:innen ausgewählt und zum Bundesfestival eingeladen. Das Projekt #sprachlernendesspiel freute sich besonders, das Land Niedersachsen im September 2019 in Halle vertreten zu haben. Das unterstreicht nicht nur die positive Entwicklung des gesamten Projekts, sondern ist zugleich eine Anerkennung der Arbeit und des erbrachten Aufwands. Denn gerade die Kinder und Jugendlichen fühlen sich nicht nur mit dieser Teilnahme an ihrem Fortschritt bestätigt, durch das SDL wird insbesondere auch der Schulalltag in den Vordergrund gerückt. Den Schüler:innen wird eine Stimme verliehen, mit der sie ihre Lebenswelt und ihren Lebensalltag mitteilen können.
Neben den Meilensteinen, die das Projekt über die Jahre erreicht hat, bildet die Sprachförderung das primäre Ziel. Deutsch zu lernen ist der gemeinsame Nenner der Sprachlernenden. Allerdings birgt ein solches Vorhaben und Projekt auch seine Schwierigkeiten in schulinternen Abläufen. Eine neue Umgebung, eine neue Schule und dem übergeordnet eine neue Sprache stellen die Kinder und Jugendlichen vor ungewohnte Herausforderungen.
„Teilweise müssen sie erst herausfinden, wie ihre Schule funktioniert, welche Regeln es gibt und welche Anforderungen an sie gestellt werden. Zusammenfassend bedeutet dieser Rahmen für das Projekt #sprachlernendesspiel, dass die Gruppen in vielerlei Hinsicht divers sind und zusätzlich ein ständiger Wechsel der Teilnehmenden besteht. Die Ensemblebildung innerhalb des Probenprozesses wird so zur dauerhaft dringlichen und zugleich herausfordernden Aufgabe.
Aus theaterpädagogischer Perspektive besteht insgesamt die Herausforderung darin, während des gesamten Projekts theatrale Arbeitsformen zu finden, die Sprachfähigkeiten und kulturellen Hintergrund der Teilnehmenden produktiv einzubeziehen und zu ästhetisieren. Dabei ist es wichtig, die transkulturellen Differenzen und die sprachliche Diversität der Gruppe nicht als Defizit oder Hürde für die künstlerische Arbeit zu betrachten. Vielmehr besteht die Chance, Arbeitsweisen, Haltungen, Grundfragen und Methodenrepertoire sowie Handlungsstrategien zu schärfen und zu erweitern. Bei #sprachlernendesspiel wird die Theaterarbeit nicht vordergründig zur Sprachbildung verwendet, der Akzent liegt stärker auf den künstlerischen Wahrnehmungs- und Gestaltungsprozessen der Theaterarbeit selbst.
Das Projekt bereichert und ergänzt den gesteuerten Spracherwerb in der Sprachlernklasse, soll ihn aber keineswegs ersetzen. Vielmehr bietet das Projekt zahlreiche handlungsbezogene Kommunikationsgründe und -strategien, die in einem theatralen Schutzraum spielerisch erprobt werden können. Die positiven Effekte der Sprachförderung werden erreicht, ohne dabei die Theaterarbeit dem Ziel der sprachlichen Bildung unterzuordnen. Voraussetzung dafür ist, dass die Unterrichtsgestaltung und die theatralen Methoden auf die Sprachlernenden angepasst werden, damit Stärken ästhetisch sichtbar werden können.“
Katharina Nuding, Koordinatorin und Anleiterin des Projekts #sprachlernendesspiel